mit Kunst und Musik auf der Straße –  Freundschaft und Hoffnung anbieten

Jedes Jahr blicken viele Menschen auf das vergangene Jahr zurück. Reflektieren ihre Arbeit und ihr Leben. Wir als Stoffwechsel tun das ebenfalls immer wieder, denn unser Jahr ist immer reich an Begegnungen und Erfahrungen mit ganz besonderen Menschen. Auch mir sind einige Erlebnisse eingefallen, die mich wirklich zutiefst berührt haben und die mir zeigten, wie die einfachsten und kleinsten Dinge Großes bewirken können. Ich möchte euch von einer besonderen Begegnung erzählen. Vor über einem Jahr durfte ich Hannes kennenlernen. Er war ein oft gesehener Besucher am „Brunnen“ – einem Platz zwischen den riesigen Prohliser Plattenbauten. Dort treffen Resignation, Hoffnungslosigkeit, Drogen und Alkohol aufeinander. Ich versuche genau an diesem Ort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und mir ihre Geschichte anzuhören. Um einen Zugang zu ihnen zu bekommen, spiele ich meistens Gitarre oder bringe Utensilien zum Malen mit.

Eines Tages kam eben auch Hannes zu mir, weil er über mich verwundert war. Er fragte, was ich hier mache. Er war angetrunken und ich glaube es war ihm peinlich, dass ich ihn in diesem Zustand sah. Ich sagte ihm, dass es mein Herzensanliegen ist, Hoffnung an diesen Ort zu bringen. Er setzt sich also zu mir auf die Decke und ich konnte ihn einladen etwas zu malen. Er zeichnete eine einfache Katze mit einer Sonne im Hintergrund und erzählte uns, dass er dies für seinen Sohn mache. Im nächsten Satz sagte er: „Eigentlich ist es verwunderlich, dass ich hier sitze und mit euch rede, denn ich hasse Menschen…“ Daraufhin erzählte er uns viel aus seinem Leben, über seine Wunden und seinen Gefängnisaufenthalt. Über die nächsten Wochen und Monate begegneten wir uns immer wieder und ich merkte, dass Hannes Menschen nicht hasste. Ihm fehlten Perspektive, Hoffnung und Glaube an sich selbst. Er war enttäuscht von verschiedenen Menschen und Lebenssituationen. Bei unseren Treffen war er oft angetrunken und das war ihm sehr unangenehm. Doch ich spürte einen starken Willen in ihm, eine Sehnsucht nach mehr Inhalt und Sinn in seinem Leben. Wir verbrachten immer wieder Zeit zusammen, gingen spazieren oder zum Bäcker. Er besuchte mich mit seinen Kindern und ich durfte seine Freundin kennenlernen. Daraus entstand eine echte Freundschaft. Wir redeten über Themen, die uns bewegten und ich durfte ihm von Gottes Liebe berichten.

In den letzten Jahren unserer Arbeit bei Stoffwechsel habe ich immer wieder festgestellt, wie wichtig es ist, dass Menschen Dinge selbst erkennen und Einsicht zeigen. Auch bei Hannes gab es diesen besonderen Moment, in dem eine Veränderung bei ihm sichtbar wurde. Er sagte etwas wie: „Ich versteh nicht, warum ihr mit mir abhängt und euch Zeit nehmt. Ich schäme mich oft über mich selbst und möchte aber ein gutes Vorbild für meine Kinder sein. Ich will, dass sie sehen, dass ihr Vater sich nicht aufgibt, sondern arbeitet und „eigenes Geld“ nach Hause bringt!“. Solche Schlüsselmomente sind nicht einfach. Sie tun weh, weil sie uns mit uns selbst konfrontieren. Doch sie sind Wegweiser ins echte Leben.

Ich möchte ein gutes Vorbild für meine Kinder sein. Ich will, dass sie sehen, dass ihr Vater sich nicht aufgibt,…!

Eines Tages hörte ich, dass ein Ehepaar für ihre Ferienwohnung jemanden suchen, der sie sauber und instand hält. Es war nur ein „kleiner“ Job, doch für ihn war es eine große Chance und er war sofort interessiert und begeistert als ich ihn fragte, ob er das machen möchte.

Hannes hatte jahrelang keine richtige Beschäftigung. Ich sagte ihm, dass er beim Vorstellungsgespräch ganz ehrlich sein solle und dass es so der beste Weg sei. Er bat mich dennoch mitzukommen und so gingen wir gemeinsam zum Bewerbungsgespräch. Hannes erzählte dem Pärchen aus seiner Vergangenheit und seiner Hoffnung, dass er durch diesen Job eine neue Perspektive bekommt. Sie waren sehr freundlich und dankbar für seine Ehrlichkeit. Sie gaben ihm die Stelle. Für Hannes war das viel mehr als nur eine Arbeit. Er konnte dadurch lernen, dass er zu sich und seinen Wunden stehen kann, ohne Nachteile dafür zu erhalten. Ein paar Wochen später rief er mich an und sagte, dass er über einen Bekannten noch eine andere Arbeit gefunden hat, bei der er Vollzeit arbeiten kann. Das macht er jetzt seit mehreren Monaten. Es ist eine gewaltige Umstellung, aber es tut ihm gut. Den Job in der Ferienwohnung hat mittlerweile seine Freundin, weil zwei Arbeitsstellen für ihn einfach zu viel sind.

Und heute Abend, kurz bevor ich diese Zeilen verfasst habe, telefonierten wir noch eine halbe Stunde und ich fragte ihn, ob ich etwas über ihn schreiben darf, um andere mit seiner Geschichte zu ermutigen. Und im Telefonat durfte ich wieder einmal feststellen, dass es weiter geht. Es passiert etwas an und in ihm und es ist schön zu sehen, wie er immer wieder kleine Schritte vorwärts geht. Ich sagte ihm: „Ich glaube, du erkennst immer mehr, was gut ist und wirst reifer. Es wirkt auf mich so, dass Gott in dir am Werk ist! Geh den Weg weiter…“

Es gibt keine hoffnungslosen Fälle! Kleinste Momente können unsere persönlichen Lebensgeschichten und die von anderen verändern. Dies erinnert mich an einen Satz, den Mutter Teresa einmal gesagt haben soll: „Entscheidend ist nicht, wie viel wir tun, sondern mit wie viel Liebe wir es tun!“ Und Jesus erinnerte uns daran, dass die Welt dunkel ist, dass wir Liebenden aber „das Licht dieser Welt sind“ (Matthäus 5,1).

Matthias Henkert

Matthias Henkert leitet das Stoffwechsel-Projekt in Dresden-Prohlis